
Mai 2009, eine Messehalle in Hannover-Laatzen. Die FDP schreibt hier ihr Wahlprogramm, mit dem sie das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte einfahren wird. In diesem Programm standen – anders, als es heute gerne behauptet wird – noch einige Dinge mehr als bloß Mehrwertsteuersenkungen für Hotelübernachtungen und die große Lohnsteuerreform. Es gab aber auch Dinge, die damals noch völlig undenkbar waren und keine Chance hatten, ihren Weg ins Programm zu finden. Ich werde nie vergessen, wie kein geringerer als Guido Westerwelle, Fraktions- und Parteichef und Spitzenkandidat für die anstehende Wahl, selbst ans Mikrofon schritt, um den Antrag der Jungen Liberalen, die Legalisierung von Cannabis ins Wahlprogramm aufzunehmen, zu zerpflücken. Er brauchte dazu nicht ernsthaft argumentieren, sondern es genügte, den Antrag als alberne Kinderei, eben typisch JuLis hinzustellen. Der Parteitag lehnte die Legalisierung denn auch mit überwältigender Mehrheit ab.
Das ist Schnee von Gestern und dem Wahlergebnis hat es damals offensichtlich nicht geschadet. Und seitdem ist viel passiert: Die FDP hat ihr Rekordergebnis in einem Rekordfiasko enden lassen und seitdem versucht die Partei, sich neu zu erfinden. Es gab einen monatelangen Selbstfindungsprozess, an dessen Ende zunächst ein neues Logo stand, das für einige Belustigung sorgte. Auch dieser Autor ist nach wie vor kein kein Fan der kindischen und viel zu bunten Farben – muss allerdings konstatieren, dass es durchaus funktioniert und Plakate und die gesamte Kampagne dank dieser furchtbaren Farben einfach wahnsinnig auffällig sind und das ja letztlich auch das ist, worum es geht. Außer dem Logo und eines nach wie vor eher diffus formulierten “Leitbildes” hat man in den Wahlkämpfen in Hamburg und Bremen vor allem auf eine Kampagne gesetzt, die 1. auf strahlende Persönlichkeiten an der Spitze und 2. massenweise aus ganz Deutschland zusammenströmenden Parteimitgliedern aufbaute, die schon durch ihre bloße Präsenz einen gewissen Eindruck hinterließen. Anders ausgedrückt: Die “neue” FDP bestand bisher vor allem aus Show. Das ist okay, davon gab es bisher in dieser Partei zu wenig und selbst das beste Wahlprogramm der Welt rockt nicht, wenn es nicht bei den Leuten ankommt. Aber wo bleiben die Inhalte? Die Inhalte, die die FDP auch für Liberale wieder attraktiv machen, die sie in den letzten Jahren vergrault hatte?
Am kommenden Wochenende trifft sich die Partei wieder einmal zu einem Bundesparteitag und auf dem könnte es endlich auch inhaltlich ein zaghaftes Signal in Richtung einer neuen, inhaltlich konsequenter aufgestellten FDP geben. In den vergangenen Monaten haben ganze sieben Landesverbände der FDP eine Legalisierung von Cannabis ausgesprochen, darunter auch große wie Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen. Sechs dieser Landesverbände stellen gemeinsam mit den in den Reihen der Delegierten durchaus auch gut vertretenen Jungen Liberalen nun einen entsprechenden Antrag auf Bundesebene. Gefordert wird hier kein libertäres Utopia, wie man sich das vielleicht gerne wünschen würde, sondern eine relativ restriktive Praxis, eine “Kontrollierte Freigabe”, wie es im Antragstitel heißt.
Aber – ich beschrieb ja, wie die Partei noch vor wenigen Jahren auf solche Ideen reagierte – selbst das ist ja schon ein fast unglaublicher Schritt in die richtige Richtung. Und natürlich rehabilitiert dieser Antrag die FDP nicht von ihrem Totalversagen in der Regierung. Und natürlich ersetzt eine ristriktive Cannabis-Freigabe keine korrigierte Beschlusslage etwa in den Bereichen Mindestlohn, EEG oder gar der größten und umstrittensten Baustelle, nämlich der Geldpolitik und die Konsequenzen aus der Euro-Krise.
Ein positiver Beschluss der Legalisierung von Cannabis wäre nichts weiter, ein zaghafter Anfang für liberalere Inhalte und der Beweis, dass die alten Betonköpfe unter den Delegierten durchaus überstimmbar sind.
Ich traue den* Windbeuteln keine Zweimeterfuchzich mehr weit. So nett es ist, dass eine uralte JULI-Position jetzt auf FDP-Parteitagen wiederverwertet wird. Die „Juli-Abgeordneten“ hätten auch schon in der Vergangenheit reichlich Gelegenheit gehabt, hierzu in Parlamenten klar Farbe zu bekennen. Nuttin’…
Und zu Steuersenkungen gab es 2009 auch klare Aussagen und Beschlüsse… das Ergebnis ist bekannt.
(*ein wirklicher Personalwechsel an der Spitze hat nach wir vor nicht stattgefunden und auch keine tatsächliche Analyse und Selbstkritik am wohl grössten Wahlbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik)
Falsche Metapher. Richtig wäre in diesem konkreten Fall gewesen: „Über die Sache ist längst Gras gewachsen.“ ;-)
Oder nur der Beweis, dass weiterhin auf Show gesetzt wird, wenn man stattdessen die dicken Bretter weiter meidet. Denn mal so unter uns: Vom Cannabis-Verbot sind jetzt nicht allzu viele Menschen betroffen, aber der Euro-Unsinn z.B. hat Auswirkungen auf jeden von uns.
Joachim bringt es gut auf den Punkt.
Es ist überhaupt keine Wenung in die liberale Richtung zu erkennen. Die neue „Lichtgestalt“ labert etwas von „mitfühlendem Liberalismus“ und meint damit die Relativierung von liberalen Standpunkten.
Und solange Leute wie Herr Lindner noch führend mit dabei sind, kann man eine liberale FDP schlicht und einfach vergessen. Und wer auf den div. Parteitagen hat gegen den Vorstand gestimmt?
Nein die FDP ist leider noch nicht völlig Geschichte, aber für Liberale unwählbar.
Damit wir uns richtig verstehen: Wenn die Sonntag die Sache mit dem Cannabis beschließen und dass dann bis 2017 alles an programmatischer Erneuerung bleibt, bin ich absolut Eurer Meinung. Das kann nur ein Anfang sein und selbst ob der klappt ist keinesfalls sicher. Gerade beim Euro-Thema spricht Christian Lindner aber neuerdings schon mal von einem Grexit, auch wenn es dazu keine neue Beschlusslage gibt. Mindestens erwarte ich im nächsten oder übernächsten Jahr außerdem noch eine Korrektur der wirklich fürchterlichen Mindestlohnbeschlüsse und auch da bin ich nicht sicher, ob es dazu kommen wird. Das heisst aber nicht, dass man die positiven Entwicklungen völlig ignorieren sollte.
Und natürlich heißt es auch nicht, dass sich solche Punkte dann auch in konkretem Regierungshandeln niederschlagen müssen, was Achim ja zurecht bemängelt. Viel wird deswegen auch davon abhängen, wer auf die kommenden Wahllisten kommt und wer nicht. Da kann noch viel schief gehen und ich mache mir da auch nicht allzu viele Illusionen.
Als Liberaler kann man der FDP nur ein schnelles und endgültiges Aus wünschen, damit sich innerhalb der nächsten 5-10 Jahre eine neue liberale Kraft aufbauen kann. Mit Modethemen macht man keine ernstzunehmende Partei.
Die meisten FDP-Mitglieder glauben nicht an die Kraft des Einzelnen, sondern sind staatstragend und strukturbewahrend wie die Mitglieder aller anderen Parteien auch.
Liberale müssen zunächst einmal grundsätzlich gegen Regierungshandeln sein. Das hat die FDP nie begriffen, sondern sich bequem in der Kuschelbürokratie eingerichtet.
Dann hätte sich die (alte) FDP allerdings nicht so häufig Regierungsbeteiligungen erfreuen können. Wo entsteht denn die hier herbeigesehnte neue liberale politische Kraft?